Ein Lieblingsort der Familie: Martina Zimmermann und Matthias Pauwels im hellen Eingangsbereich.
Ein Lieblingsort der Familie: Martina Zimmermann und Matthias Pauwels im hellen Eingangsbereich. (Sandro Siemer)
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Ein Stück Himmel in Zollikofen

Martina Zimmermann und Matthias Pauwels wohnen mit ihren beiden Kindern in einem energieeffizienten Erdhaus in einer Berner Vorortsgemeinde. Ob im warmen Wintergarten oder im kühlen Schutz der Erdschicht: Hier lebt es sich im Rhythmus der Jahreszeiten.

Sarah Sartorius

Als Martina Zimmermann ihrem Partner Matthias Pauwels die Wohnungsanzeige weiterleitete, war das nicht wirklich ernst gemeint. Es war gegen Ende der Pandemie und die beiden hatten das Bedürfnis nach mehr Platz für ihre kleine Familie. Die Genossenschaftswohnung im Berner Lorrainequartier fühlte sich mit zwei kleinen Kindern allmählich zu eng an. Doch das lebendige Quartierleben hatte so viele Vorzüge, dass sie nicht aktiv nach einer neuen Wohnung suchten.

Ein Erdhaus in der Agglomeration also? «Ich wusste erst gar nicht, was das ist», sagt Zimmermann beim Gespräch im lichtdurchfluteten Wintergarten. Die Wohnungsknappheit in der Stadt liess sie schliesslich den Schritt wagen: 2021 kauften sie das Erdhaus in der Berner Vorortsgemeinde Zollikofen.

Die schräge Glasfront speichert jeden Sonnenstrahl und macht die Wintergärten zu warmen Oasen.
Die schräge Glasfront speichert jeden Sonnenstrahl und macht die Wintergärten zu warmen Oasen. (Sandro Siemer)

Alles, was man sich unter einem Erdhaus vorgestellt hat, löst sich in Luft auf, sobald man vor der Siedlung Wydacker steht. Es ist ein frischer Märztag mit zögerlichem Sonnenschein. Die südseitig ausgerichteten schrägen Glasfronten der acht Erdhäuser glänzen prächtig in der Sonne. Von putzigen Hobbithäuschen, geschmäcklerischer Hundertwasser-Architektur oder dunklem Erdloch keine Spur. Die Häuser wirken modern, hell und einladend.

Die Heizung wird kaum eingeschaltet

Durch die Glasfassade wird sichtbar, wie es im Innern aussieht und die beiden jüngsten Familienmitglieder lassen sich erspähen: Im mittleren Stock turnt Minna (5) auf einer Schaukel im Wintergarten, während Eliott (4) die Treppe ins Erdgeschoss hinunterstürmt. «Von aussen betrachtet, wirken die ‹aufgeschnittenen› Räume auf mich jeweils wie die Seiten eines Wimmelbuchs», umschreibt es Matthias Pauwels treffend.

«Von aussen betrachtet wirken die aufgeschnittenenRäume auf mich jeweils wie die Seiten eines Wimmelbuchs.»

Beim Betreten des Hauses muss man sich erstmal von zwei Schichten Kleider befreien: Im von der Sonne aufgewärmten Eingangsraum ist es so wohlig warm und sonnig, als würde draussen bereits Sommer herrschen. «Zwischen März und Oktober halten wir uns grösstenteils in den Wintergärten auf», sagt Martina Zimmermann. Die verglaste Terrasse zieht sich über die drei Stockwerke und speichert die Wärme jedes noch so schwachen Sonnenstrahls. Die Heizung einzuschalten ist auch in den kälteren Monaten kaum nötig. «Die Nebenkosten sind in Erdhäusern tatsächlich tief», bemerkt Pauwels.

Erdhäuser sind sogenannte Energiesparhäuser. Die Sonnenenergie wird passiv mit den südseitig ausgerichteten Wintergärten und aktiv mit den Photovoltaikzellen genutzt. Das Prinzip der «Sonnenheizung» beruht auf der Luftvorwärmung im Wintergarten, dem Verteilen der warmen Luft im ganzen Haus. Erdhäuser nutzen die Temperatur des Boden, um die Hitze im Sommer und die Kälte im Winter auszugleichen. Zugluft gibt es dank der Bauweise im Hang kaum.

Im hinteren Teil des Hauses, der im Norden liegt, ist es angenehm kühl. Die dicke Erdschicht der Wände isoliert und dämpft zudem den Verkehrslärm. Das begrünte Dach mündet in den nordseitig gelegenen Hang gegen die befahrene Strasse hin. Vom Strassenlärm ist aber auch im hinteren Teil des Hauses nichts zu hören. Im Sommer hält sich die Familie oft dort auf. Hier befindet sich auch das Kellerabteil mit den unbehandelten Erdwänden, in dem kurze Erfrischungsabstecher an heissen Hochsommertagen besonders beliebt sind.

Wild und wunderbar: Vom Kinderzimmer im mittleren Stock aus geht es direkt auf das mit Schaukel bestückte Spielparadies mit Glasfront.
Wild und wunderbar: Vom Kinderzimmer im mittleren Stock aus geht es direkt auf das mit Schaukel bestückte Spielparadies mit Glasfront. (Sandro Siemer)

Die Sonne hereinlassen

Ein weiterer schöner Nebeneffekt, der Matthias Pauwels erst nach näherem Befassen mit seinem neuen Zuhause bewusst wurde: «Erdhäuser bestehen fast durchgehend aus ökologisch nachhaltigen, recycelbaren und grösstenteils unbehandelten Baustoffen.»

Gebaut wurde das Haus 1995 vom Berner Atelier Aarplan des innovativen Architekten Rolf Schoch. Es war die Zeit vor Minergiehäusern und nachhaltiges Bauen war ein Novum. 1997 wurde die Siedlung mit dem Atu Prix, dem Bernischen Kulturpreis für Architektur, Technik und Umwelt ausgezeichnet. «Unsere Idee war es, den Boden, auf dem wir bauen, einfach anzuheben und die Sonne hereinzulassen», sagte Katrin Huber-Schoch von Aarplan vor einigen Jahren in einem Interview mit der «NZZ».

«Es ist, als würde man unter freiem Himmel schlafen.»

Manchmal fehlen Martina Zimmermann im Wohnquartier die Vorzüge des Stadtlebens, vor allem nahegelegene Beizen und diversen Kulturorte. Doch ansonsten sehe sie hier nur Vorteile, sagt sie. Die Siedlung befindet sich in der Nähe eines Waldes und liegt nur wenige Gehminuten vom Bahnhof. Für das Paar ein Muss: Beide pendeln für ihre Arbeit quer durch die Schweiz. Sie lehrt und forscht im Bereich Fremdsprachen an der Pädagogischen Hochschule in Lausanne, er arbeitet als freischaffender Grafiker und als Lehrer für Schriftgestaltung an der Schule für Gestaltung Basel.

Die offene Küche mit den weiss gestrichenen Holzbalken an der Decke ist ­heimelig und modern zugleich.
Die offene Küche mit den weiss gestrichenen Holzbalken an der Decke ist ­heimelig und modern zugleich. (Sandro Siemer)

Es ist kaum zu glauben, dass das stilvoll und mit viel Liebe zum Detail eingerichtete Haus, mit Möbeln zwischen Brockenhauscharme und Designaffinität, offiziell nur vier Zimmer hat. So grosszügig wirkt das helle Zuhause, dessen Stockwerke mit schmalen Eisentreppen verbunden sind.

Die offene Küche erstreckt sich über das ganze untere Stockwerk, mit grossem Esstisch und Sofaecke. Im mittleren Stock befindet sich das geräumige, verspielt eingerichtete Kinderzimmer mit der Verlängerung des Spielreichs in den Wintergarten hinein und ein Badezimmer mit kreisrundem Schiffsluken-Fenster. Das schlichte Elternschlafzimmer, neben dessen Bett sich Bücher am Boden stapeln, ist im obersten Stock. Eine gelbe Lampe in Form eines Ballons setzt einen farbigen Akzent. Das Zimmer bietet auch ohne viel Schnickschnack einen Höhepunkt: Vom Bett aus sieht man durch die Glasfront direkt in die Wolken. «Es ist, als würde man unter freiem Himmel schlafen», sagt Martina Zimmermann. «Und wenn es regnet und die Regentropfen aufs Glasdach prasseln, hat man das Gefühl, man campiere in einem Zelt», fügt sie an. Feriengefühle ganz umsonst.

Vom Dach kann man in die Wohnung herunterblicken. Die alte Werbeschrift aus Eisen ist ein Fundstück und stammt vom ehemaligen Gartenbauer gegenüber.
Vom Dach kann man in die Wohnung herunterblicken. Die alte Werbeschrift aus Eisen ist ein Fundstück und stammt vom ehemaligen Gartenbauer gegenüber. (Sandro Siemer)

Spielwiese in Schräglage

Das Leben im Rhythmus der Jahreszeiten und im Einklang mit dem Wetter ist der wohl grösste Unterschied zur früheren Stadtwohnung. Richtig heimelig werde es in der kalten Jahreszeit, erzählt Zimmermann. «Wenn im Winter genügend Schnee fällt, bleibt die Schneedecke auf dem Glasdach liegen und verdunkelt die Wohnung für kurze Zeit.»

Zum Abschluss unseres Rundgangs begeben wir uns auf das mit Gras überwachsene Dach. Durch ein Dachfenster kann man in die eigene Wohnung herunterblicken. Eine grossartige, aber nicht ganz ungefährliche Spielwiese für die beiden Kinder, die sofort das Schrägdach hochrennen, während unten auf der Strasse Autos vorbei brausen und es auf der anderen Seite steil hinunter aufs Glasdach geht.

Die Hinterseite des Hauses versprüht einen beinahe exzentrischen Charme. Sie hielten sich jedoch eher selten hier auf, sagt Martina Zimmermann: «Aber eigentlich müssten wir hier auf dem Grasdach im Sommer mal ein Apéro nehmen.»

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